Achtung

Ratschläge auf der Website können keinen Arztbesuch ersetzen
Okay
Anonym
Inaktiv

Antwort auf: Lebensqualität und Schilddrüsenwerte im Blut Warum ein einzelner Blutwert wenig Aussagekraft hat (Offline Nr. 10, 6.2013)

| Beitrags-ID: 459878

Ich erlaube mir, den Beitrag von Harald Rimmele zu ergänzen, weil ich den Eindruck habe, dass die obenstehenden Ausführungen ein wesentliches Problem der Substitutionstherapie vielmehr verschleiern als erhellen.

Bekannt sind drei verschiedene Dejodasen. Ich versuche, eine Überblick über die Typ-I-Dejodase und die Typ-II-Dejodase, ihre Unterschiede und ihr Zusammenspiel zu geben.

 

Typ-I-Dejodase

Funktion: Umwandlung von T4 zu T3

Vorkommen: Schilddrüse, Leber, Niere

Wirkungsort: endokrine Sekretion. Das von der Typ-I-Dejodase erzeugte T3 wird in den Blutkreislauf sezerniert und dem gesamten Organismus zur Verfügung gestellt. Die Typ-I-Dejodase ist verantwortlich für den T3-Gehalt des Blutes.

Regulation: T3 erhöht die Transkriptionsrate des Gens für die Typ-I-Dejodase: je mehr T3 desto mehr Typ-I-Dejodase (ein selbstverstärkender Prozess)

Typ-II-Dejodase

Funktion: Umwandlung von T4 zu T3

Vorkommen: Muskulatur, Hypophyse, Fettgewebe, Knochen, Uterus

Wirkungsort: parakrin, autokrin. Das von der Typ-II-Dejodase erzeugt T3 wird lokal (in der Zelle, in der es entsteht oder von Nachbarzellen) verbraucht. Die Aktivität der Typ-II-Dejodase leistet einen wesentlichen Beitrag zum T3-Gehalt in den Körperzellen; in einigen Geweben werden bis zu 50% des intrazellulären T3 von der Typ-II-Dejodase erzeugt.

Regulation: T4 verkürzt die Halbwertzeit der Dejodase durch Ubiquitinierung (T4 ist nicht nur ein Prohormon; es hat auch regulatorische Funktionen.) Ein hoher T4-gehalt im Blut vermindert die Aktivität der Typ-II-Dejodase.

 

Das T3, welches im Blutkreislauf zirkuliert, wird von Leber, Niere und Schilddrüse erzeugt; der Beitrag der Schilddrüse liegt bei 20 %. Dieser Anteil ist relativ niedrig. Viele Autoren weisen aber darauf hin, dass der kleine T3-Beitrag der Schilddrüse von großer Bedeutung sei.

Wenn die Schilddrüse fehlt und ausschließlich LT4 zugeführt wird, muss man relativ viel T4 zuführen, um einen bestimmten T3-Spiegel im Blut zu erreichen. Patienten ohne Schilddrüse haben ein vergleichsweise hohes T4/T3-Verhältnis im Blut. Der erhöhte T4-Gehalt im Blut hat Auswirkungen auf die T3-Erzeugung in den Zellen.

Zellen, die T3 verbrauchen, erhalten dieses zum Teil aus dem Blut, zum Teil erzeugen sie es selbst durch Umwandlung von T4 zu T3 durch die Typ-II-Dejodase. Wenn nun die Zelle vom Blutstrom eine „hochnormale“ Menge T4 erhält, kann sie dieses T4 nicht ausreichend umwandeln, weil die Aktivität der Typ-II-Dejodase durch den hohen T4-Spiegel gehemmt wird. Steigert man die LT4-Dosis, erhöht man zwar den T3-Gehalt im Blut, verschärft aber zugleich den T3-Mangel im Gewebe, v.a. in denjenigen Geweben, in denen die lokale T3-Erzeugung besonders wichtig ist.

Mit anderen Worten: Unterschiedliche Gewebe haben einen unterschiedlich hohen Bedarf an T3, der die „Grundversorgung“ durch den Blutstrom in mehr oder minder hohem Maße übersteigt. Dieser gewebespezifische Mehrbedarf wird durch die Aktivität der Typ-II-Dejodase innerhalb der Zelle gedeckt. Mechanismen zur Regulation der Dejodasen sind abgestimmt auf die Verhältnisse im intakten Organismus, in dem die Schilddrüse vorhanden ist.

 

Ich verlinke Euch zwei Paper und ein Videos zu diesem Thema.

Der Videobeitrag ist ab Minute 14 relevant. Im Vortrag wird auch gezeigt, dass bestimmte T3-abhängige Parameter unter LT4 keine normalen Werte erreichen. Es bleibt also eine grundsätzliche Dysbalance bestehen.

https://www.youtube.com/watch?v=WkfK2vx_iII

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30124904/  
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4319436/

 

Ob ein Mensch nach dem Verlust der Schilddrüse mit LT4 zurecht kommt oder nicht, hängt gewiss auch von der Kompensationsfähigkeit anderer Organsysteme ab. Ich glaube außerdem, dass eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung die Toleranz vorhandener Symptome erschweren und Leiden verstärken kann.