FAQ: Europäische Konsensus-Erklärung zur Behandlung des differenzierten Schilddrüsenkrebs
Original-Titel:
CONSENSUS STATEMENT
European consensus for the management of patients with differentiated thyroid carcinoma of the follicular epithelium
Erschienen im European Journal of Endocrinology (2006) 154 787-803; Online als PDF
Die Leitlinie macht Empfehlungen zu (Übersicht):
Hallo,
in diesem Konsensus, welcher auch von der European Thyroid Association . (ETA) übernommen wurde, und daher auch kurz ETA-Leitlinie genannt wird, haben sich führende Schilddrüsenkrebsspezialisten in Europa zusammengetan, um eine gemeinsame Empfehlung zu verabschieden.
(siehe auch FAQ: Was ist eine Leitlinie? Was ist eine Richtlinie?)
Es gibt inzwischen eine neue überarbeitete Leitlinie der American Thyroid Association (ATA) aus dem Jahr 2009. Diese ist jedoch noch nicht vollständig von uns übersetzt. Erste Übersetzungen findet man hier: ATA-Leitlinie differenzierter SDKrebs 09: Übersetzungen….
Hier nun meine Übersetzung für Patienten (ohne Gewähr!!), lediglich gekürzt um wenige spezielle (medizinisch-technische) Verfahrensanweisungen, und zusätzlich mit Erklärungen, weiterführenden Links und Anmerkungen aus der Sicht von uns Patienten versehen.
Schilddrüsenknoten:
Ziel ist es gutartige von bösartigen Tumoren zu unterscheiden.
Die Entscheidung, ob eine Schilddrüsenoperation durchgeführt wird, wird Aufgrund der Ergebnisse der Feinnadelpunktion getroffen:
(im englischen Original-PDF-Artikel S.788-789)
Schilddrüsenoperation beim Schilddrüsenkrebs:
Vor der Operation
Verdächtige Lymphknoten können zusätzlich mit einer Feinnadelpunktion und Auswaschung der Nadel mit TG-Bestimmung genauer untersucht werden.(siehe FAQ http://sd-krebs.de/phpBB2/viewtopic.php?p=7043#7043 – Beate 19.8.2004)
CT, MRT und PET nur im Ausnahmefall. Wichtig ist, dass keine jodhaltigen Kontrastmittel benutzt werden, weil sonst eine RJT erst 2-3 Monate später durchgeführt werden kann.
Die Schilddrüsenoperation sollte in Zentren durchgeführt werden, die eine große Zahl von Schilddrüsenkrebspatienten haben.
[Anmerkung Harald: Eine Zahl zur Orientierung wird nicht genannt.]
Ein hohes Gewicht wird auf die Feinnadelpunktion gelegt, um eine völlige Entfernung der Schilddrüse vermeiden zu können. Aus dem gleichen Grund soll auch ein intraoperativer Schnellschnitt durchgeführt werden, allerdings ist die Chance, damit ein minimal-invasives follikuläres Karzinom oder die follikuläre Variante des papillären Karzinoms zu entdecken, sehr begrenzt.
Ob man immer gleich die ganze Schilddrüse entfernen soll, wird kontrovers diskutiert, da eine zweite Operation mit höheren Risiken von Komplikationen verbunden, auf der anderen Seite eine völlige Entfernung nicht immer notwendig ist.
Komplikation: Verletzung des Stimmbandnervs = Rekurrenzparese
Erfahrene Chirurgen können das Risiko einer dauerhaften Rekurrenzparese auf unter 2% halten. Vorübergehende Beeinträchtigungen des Stimmbandnervs sind häufiger. Eine Erholung findet innerhalb von 1 bis 6 Monaten statt. Es wird betont, dass die Lebensqualität durch eine dauerhafte Rekurrenzparese erheblich gemindert wird.
[Anmerkung Harald: Auf Neuromonitoring wird nicht eingegangen, es wird lediglich betont, dass man mit einfachen Operationstechniken („simple surgical techniques“) das Risiko einer dauerhaften Rekurrenzparese mindern kann.]
Komplikation: Verletzung der Nebenschilddrüsen (Hypoparathyreoidismus= Nebenschilddrüsenunterfunktion)
Ein vorübergehender Hypoparathyreoidismus tritt in 1 von 30 Fällen auf, ein dauerhafter Hypoparathyreoidismus in weniger als 2% der Fälle. Kalzium (CA) soll daher nach der Schilddrüsenoperation kontrolliert werden, und täglich bis sich der Ca-Spiegel stabilisiert hat.
(im englischen Original-PDF-Artikel S.790-1)
Entfernung des Schilddrüsenrestgewebes durch RJT (Ablation)
Es gibt keinen Konsensus!!:
Es ist umstritten, ob die RJT überhaupt einen zusätzlichen Nutzen hat oder nur für bestimmte Gruppen:
Auch die Durchführung der RJT mit 3,7 GBq oder 1,1GBq ist umstritten, ebenso gibt es Unsicherheit darüber ob Hormonentzug oder der Einsatz von rhTSH besser ist, weil hierfür Langzeit-Untersuchungen benötigt werden.
[Anmerkung Harald: siehe auch unsere Diskussion 2005 zur Studie Radiojodtherapie (RJT) mit Thyrogen]
(im englischen Original-PDF-Artikel S.791)
Vorbereitung und Durchführung der Ablation
Risiko-Gruppen (nach Ablation) – Staging = Tumor-Klassifizierung
(im englischen Original-PDF-Artikel S.792)
TSH-Unterdrückung
Begründung und Empfehlung:
[Anmerkung Harald: Ob hier Kritik an der alleinigen Dauersubstitution von bis zu einem Jahr zu Beginn der Behandlung gemeint ist, die noch an wenigen Kliniken durchgeführt wird, oder ob die T4-ergänzende Substitution mit einer geringen Dosis T3 gemeint ist, welche manche Patienten machen, um eine zusätzlichen Energieschub zu bekommen, geht aus diesen Ausführungen nicht hervor, es ist auch keine Quelle genannt.]
[Anmerkung Harald: Es wird leider keine Quelle genannt, warum die Zeiträume zur Hormonanpassung so groß sind. Im Allgemeinen wird sonst ein Zeitraum von 6 – 8 Wochen genannt, bis sich der Körper auf eine Dosis eingestellt hat.]
[Anmerkung Harald: hier fehlt der wichtige Hinweis, dass Ca-Medikamente frühestens 2 Stunden nach der LT4-Dosis genommen werden sollen, weil sonst LT4 nicht optimal aufgenommen wird]
[Anmerkung Harald: Neben diesem sehr wichtigen Hinweis auf die Risiken für das Herz-Kreislauf-System fehlt mir ein Hinweis, oder auch nur als bloße Feststellung oder weiter zu erforschende Frage, dass einige Schilddrüsenkrebspatienten sehr lange an einem Fatigue-Syndrom leiden; siehe Mitglieder-Gruppe: Fatigue – Chronische Müdigkeit.]
(im englischen Original-PDF-Artikel S.792-4)
Nachsorge des Schilddrüsenkrebses:
Der mit rhTSH stimulierte TG-Wert ist gewöhnlich etwas niedriger als bei Hormonentzug. Nachweisbares TG kann nicht unterscheiden zwischen dem Vorhandensein von gesundem Schilddrüsenrestgewebe, lokalen oder Fernmetastasen.
Das TG kann mehrere Monate nach vollständiger Entfernung der Schilddrüse noch gemessen werden, daher sollte der TG-Wert nicht vor 3 Monaten nach der ersten Behandlung gemessen werden. Danach sollte sowohl die Höhe als auch der Trend des TG-Werts erfasst werden.
Der Einsatz von ultra-sensitiven TG-Assays zur Bestimmung des TG-Werts wird für die Routine abgelehnt, da es zu einer zu hohen Zahl von falsch positiven TG-Werten kommt.
Ferner sollte die TG-Wert-Bestimmung möglichst immer unter den gleichen Qualitäts-Standards des Labors durchgeführt werden.
(im englischen Original-PDF-Artikel S795-6)
Bei Patienten mit einem kleinen Schilddrüsenrest ist die Ganzkörperszintigraphie nach der post-operativen RJT mit einer hohen Stahlendosis sensitiver, als eine RJD mit geringerer Stahlendosis in der Nachsorge.
Die Ablation (vollständige Entfernung der Schilddrüse) wird definiert als kein Nachweis in der Ganzkörperszintigraphie bzw. kleiner 0,1% und kein Nachweis von TG im Blut.
Nur bei Patienten, die einen nachweisbaren TG-Wert unter TSH-Stimulation haben, zeigt die Ganzkörperszintigraphie bei der RJD in der Nachsorge Anreicherungen außerhalb des Schilddrüsenbetts. Zusätzlich können Knoten im Halsbereich durch den Ultraschall erkannt werden.
Gibt es keinerlei Anzeichen für das Fortbestehen der Krankheit, so ist eine RJD nicht mehr angezeigt/notwendig.
Gegenwärtig ist die beste Definition für eine erfolgreiche Ablation (vollständige Entfernung der Schilddrüse): nicht nachweisbarer TG-Wert unter TSH-Stimulation und keine Auffälligkeit bei der Ultraschalluntersuchung des Halses.
TSH-Stimulation. TSH regt die Produktion von TG bei Schilddrüsenzellen an. Die TSH-Stimulation erhöht so die Sensitivität im Blut TG nachzuweisen, und dies zeigt das Fortbestehen der Krankheit an.
Um eine RJD durchführen zu können muss eine TSH-Stimulation erreicht werden, weil sonst das radioaktive Jod kaum oder nur gering aufgenommen wird.
Die TSH-Stimulation kann durch zwei alternative Methoden erreicht werden:
Die Nebenwirkungen von rhTSH sind selten und kurzfristig vorübergehend: Übelkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit. Die Vorteile von rhTSH sind, dass eine Unterfunktion vermieden wird, die Lebensqualität erhalten wird, die Krankheitsrisiken vermieden werden, die durch eine Unterfunktion verursacht werden, und eine längere Krankschreibung vermieden wird. Die Kosten von rhTSH werden so ausgeglichen.
[Anmerkung Harald: Es ist überaus bemerkenswert, dass nur in diesem einen Punkt auf die Kosten eingegangen wird.]
(im englischen Original-PDF-Artikel S.796)
(im englischen Original-PDF-Artikel S.796)
Zeigt die Ganzkörperszintigraphie nach RJT, die auf die Schilddrüsenoperation folgt, nur einen kleinen Rest im Schilddrüsenbett und keine Speicherung außerhalb, werden die Patienten mit dem Schilddrüsenhormon T4 eingestellt und 3 Monate danach einbestellt, um TSH und TG-Wert zu bestimmen.
Nach 6 – 12 Monaten wird der Hals mit Ultraschall untersucht und TG unter rhTSH-Stimulation bestimmt. Hormonentzug sollte nur gemacht werden, wenn rhTSH nicht verfügbar oder nicht finanzierbar ist.
Low-risk Patienten mit unauffälligem Ultraschall und nicht nachweisbarem TG-Wert unter rhTSH können als geheilt betrachtet werden. Ein Wiederauftreten der Krankheit liegt unter 1% in 10 Jahren.
RJD wird von einigen Ärzten bei high-risk-Patienten angewandt, wenn die Ganzkörperszintigraphie nach der Ablation nur wenig informativ oder verdächtig war. Verdächtige Befunde im Ultraschall sollten weiter untersucht/beobachtet werden:
Bei Patienten mit einem nachweisbaren TG-Wert unter rhTSH in einem Bereich von 1 – 2 ng/ml sollte der TG-Wert erneut nach 12 Monaten unter rhTSH bestimmt werden. Ist der TG-Wert nicht mehr nachweisbar, ist der Patient als geheilt zu betrachten. Steigt der TG-Wert ist ein CT von Hals und Brust angezeigt sowie eine RJT.
Bei Very low-risk Patienten, eventuell behandelt mit einer Teilentfernung der Schilddrüse, werden periodisch mit Ultraschall untersucht sowie der TG-Wert unter Schilddrüsenhormonen bestimmt.
(im englischen Original-PDF-Artikel S.796-7)
Bei low-risk Patienten, die nach 9 – 12 Monaten kein Anzeichen von Krankheit zeigen, kann die Schilddrüsenhormondosis (LT4) verringert werden, so dass der TSH im unteren Normbereich bleibt.
Bei high-risk Patienten ist es sicherer, den TSH in den ersten 3 – 5 Jahre nahe Null zu belassen. Das Risiko eines Wiederauftretens der Krankheit ist auch in dieser Gruppe gering, wenn es in dieser Zeit kein Anzeichen für eine Krankheit gibt. Diese Patienten können dann neu als low-risk Patienten klassifiziert werden.
[Sönnchen sheine!: Studie: Nach Ablation kein Unterschied von low zu high risk Patieten (Verburg u.a. 2009)]
In der jährlich durchgeführten Nachsorge wird der TSH und das TG unter Schilddrüsenhormonen (LT4) bestimmt, sowie eine körperliche Untersuchung gemacht. Ultraschall wird empfohlen rountinemäßig zu machen oder nur bei verdächtigem klinischem Befund.
Ob eine erneute TG-Wertbestimmung unter rhTSH nach 3 – 5 Jahren sinnvoll ist, bedarf noch einer Bestätigung durch Studien. Die Nachsorge muss lebenslang erfolgen. Dies kann in speziellen Zentren oder bei anderen ambulanten Spezialisten geschehen.
(im englischen Original-PDF-Artikel S.797)
Behandlungs-Schema für Rezidive bzw. bei Auftreten von Metastasen
Bei einem Wiederauftreten (Rekurrenz) der Krankheit im Halsbereich, kann eine Remission (Zurückdrängen der Krankheit, aber keine Heilung) bei zwei Dritteln der Patienten erreicht werden. Bei Fernmetastasen kann eine Remission bei einem Drittel der Patienten erreicht werden. Eine Remission kann häufiger erreicht werden, wenn die Tumorlast begrenzt ist.
(im englischen Original-PDF-Artikel S.798)
(im englischen Original-PDF-Artikel S.798)
Bedeutung der perkutanen (äußeren) Strahlentherapie
Die perkutane Strahlentherapie am Hals wird nur selten angewandt. Wenn Vorsichtmaßnahmen getroffen wurden zur Verhinderung einer Myelopathie (Rücken- bzw. Knochenmarkerkrankung) sollte die Bestrahlung sorgfältig geplant werden. Für mikroskopische Schilddrüsenkrebsreste sollte eine Dosis von 50 – 60 Gy im Halsbereich ausreichen, verteilt auf 25 – 50 Sitzungen mit 5 Sitzungen pro Woche. Ein Erhöhung um 5 – 10 Gy kann gegeben werden bei größeren Tumorresten. Die perkutane Strahlentherapie ist angezeigt bei Tumoren bzw. Tumorresten, die kein Jod speichern sowie bei Kochen- und Gehirnmetastasen.
(im englischen Original-PDF-Artikel S.798)
Bedeutung der Chemotherapie und experimenteller Therapien:
Die Chemotherapie hat keine Bedeutung in der Routinebehandlung von papillären und follikulären Schilddrüsentumoren. Sie findet ihren Einsatz nur bei fortgeschrittenen Schilddrüsenkarzinomen, die mit Operationen, RJT oder anderen Therapien nicht kontrolliert werden können.
Die Wirksamkeit ist gering, am besten mit 10 – 20 % beim Monoeinsatz von Doxorubicin oder die Kombination Doxorubicin-Cisplatin. In jedem Fall ist die Wirkung nur teilweise oder vorübergehend, ohne dass die Lebenszeit verlängert wird.
[Anmerkung Harald: siehe auch FAQ Studie: Chemotherapie mit Doxorubicin Matuszczyk, Essen 2006; hier sogar 50 %]
Ein erhöhter TSH-Wert (durch Hormonentzug oder rhTSH) führt beim wenig-differenzierten Schilddrüsenkrebs dazu, dass die Chemotherapie besser anspricht, aber dies muss durch Studien noch bestätigt werden.
Molekulartherapien
[Anmerkung Harald: siehe auch FAQ: Thyrosinkinaseinhibitor AEE788]
und Anti-Angionesetherapie
[Anmerkung Harald: siehe auch FAQ: Thalidomid]
(im englischen Original-PDF-Artikel S.799)
Am Konsens beteiligte Schilddrüsenkrebsspezialisten:
(im englischen Original-PDF-Artikel S.799)
Diskussionen, Fragen und Antworten zur ETA-Leitlinie in unserem Selbsthilfe-Forum: